Nordfriesland oder Nordheide?
»Jagdrevier« gehört zu meinen Favoriten unter den Petersen-tatorten. Nicht zuletzt deshalb wollte ich gern alle Drehorte dieser Episode entdecken.
Augenscheinlich spielte »Jagdrevier« im sehr ländlichen Schleswig-Holstein, und schon bei der Architektur des Gasthofs und der wenigen anderen Häuser im Dorf kam mir der Verdacht, dass es eher im nördlichen Teil sein musste. Dazu kamen die Landschaftsaufnahmen: flach, wenig Wald, Deich und die große Kiesgrube.
Es bedurfte ein wenig Recherche in einschlägigen Fan-Foren und dann kam der entscheidende Hinweis: In Wohlde, ganz grob zwischen Friedrichstadt und Jagel verortet, idyllisch an der Treene gelegen, soll es einen Gasthof geben, in dem seinerzeit große Teile des tatorts gedreht worden sind.
Wir hatten also ein neues Ziel.
Mein Co-Ermittler und ich machten uns wenige Tage später auf die Reise nach Norden. Für diejenigen, die bei Schleswig-Holstein an Büsum, Lübeck oder Sylt denken sei erwähnt: auch das Land zwischen Nord- und Ostsee hat sehr sehenswerte Ecken, die Gegend um Wohlde (»Eider-Treene-Sorge Flusslandschaft«) ist absolut sehenswert und man bekommt sehr schnell dieses »Jagdrevier«-Gefühl: Landschaft, Ruhe aber irgendwie doch spannend.
Wir fuhren also durch diese schöne Landschaft, aus Richtung Dörpstedt kommend und siehe da: mitten im Dorf Wohlde steht der Gasthof – genauso, wie wir ihn aus dem tatort kennen.
Leider war der Gasthof bei unserem Besuch im Juni 2011 geschlossen, so dass wir hier nicht weiter recherchieren konnten.
Mittlerweile hat der Betreiber das Potenzial seines geschichtsträchtigen Gasthofs erkannt und hat dem tatort eine eigene Rubrik seiner Homepage gewidmet: https://www.schmackebraeu.de/
Wir sahen uns in Wohlde um: gegenüber dem Gasthof war tatsächlich das Gebäude erkennbar, in dem seinerzeit der »Polizeiposten« untergebracht war.
Was wir nicht finden konnten: die Villa des Immobilien-Hais »Kresch«. Auch in den umliegenden Orten Bergenhusen, Dörpstedt, ja sogar in Friedrichstadt hatten wir keinen Erfolg.
Irgendwie passten die Landschaften auch nicht zueinander: die Zufahrt der Villa wirkte eher nach einer trockenen Geestlandschaft, während es rings um Wohlde eher Marsch bzw. Moorlandschaft gab.
Auch der Baustil wirkte eher untypisch für diese Gegend, und ein „Villen-Virtel“ gab es in Wohlde auch nicht.
Wir spekulierten: Sylt, Hamburg oder ganz woanders?
Das Reetdach der Villa lud zu Spekulationen eine: Sollte diese Villa vielleicht auf Sylt stehen? Dagegen sprach der Aufwand, der notwendig gewesen wäre das ganze Team für die wenigen Bilder auf die Insel zu befördern. Das brachte uns zurück zu den Erkenntnissen, die wir in Barmstedt gewinnen konnten: Die Produktion musst gut haushalten, die Kosten niedrig halten. Ausgangspunkt war immer Hamburg! Vielleicht wurden die Szenen rund um das Kresch-Anwesen ja gar nicht an der Treene, sondern in Hamburg oder dem näheren Hamburger Umland gedreht?
Wir hatten leider keine Anhaltspunkte dafür, wo wir denn in Hamburg suchen sollten. Rein geographisch kamen nur wenige Regionen innerhalb der Stadtgrenzen infrage, auch darüber hinaus konnte man z.B. das »Alte Land« oder die »Vier- und Marschlande« ausschliessen. Was wäre aber wenn es sich z.B. um den Stadteil »Altenwerder« gehandelt hätte, den man Ende der 1970er dem Hafenbau geopfert hatte?
Diese These hatten wir auch schon bei der Suche nach der »Breuke-Villa«. Diese hätte stilistisch nach Altenwerder gepasst, die »Kresch-Villa« wäre allerdings aus dem Raster gefallen, außerdem stand Altenwerder schon seit den 1960er Jahren auf der Kippe, so dass wohl niemand dort ein solches Anwesen neu gebaut hätte – denn neu war es zum Zeitpunkt der Dreharbeiten anscheinend.
Wieder mal Schwarmwissen
Dann kam uns mal wieder das Schwarm-Wissen zur Hilfe: in einem Tatort-Forum im Netz hatte ich vor längerer Zeit gefragt, ob jemand die Drehorte von »Jagdrevier«, speziell den der Villa kennen würde. Nun kam tatsächlich ein vager Hinweis: der Tippgeber hat als Kind in der Nordheide im Kreis Harburg gelebt. Er konnte sich daran erinnern, dass dort mal ein tatort gedreht wurde, er hat aber nie herausgefunden welcher: als Kind durfte er noch keine Krimis sehen, und irgendwann war die Neugierde auf den dort gedrehten Film vorbei, so dass er auch nicht weiter recherchiert hat.
Leider hat dieser Hinweisgeber nicht mehr auf Nachfragen reagiert, so dass wir wenig Anhaltspunkte hatten.
Nichts desto trotz machten wir uns eines Samstags im Jahr 2012 auf den Weg über die Elbe. Wir fanden viele beschauliche Orte mit vielen Siedlungen, die stilistisch gut zur Kresch-Villa gepasst hätten. Nur eben diese Villa fanden wir nicht. Taugte der Tipp vielleicht doch nichts?
Monate später – im April 2013 – sah ich mir »Jagdrevier« erneut an, dieses Mal in einer aufgefrischten Wiederholung. Offenbar hatte man bei der ARD mittlerweile Mittel und Wege gefunden, die alten Filme zu restaurieren und hat diese offenbar neu digitalisiert ausgestrahlt.
Ich richtete mein Augenmerk auf Landmarken und auf die Villa selbst: Wasser hinter dem Haus, eher ein See als ein Fluß, längere Auffahrt, Nadelbäume entlang der Grenze. Und was war das: das Haus hat eine architektonische Besonderheit, die mir bis dato nicht aufgefallen war!
Ich recherchierte weiter und fand heraus, wer dort wohnte.
Am nächsten Morgen griff ich zum Telefon und rief den Besitzer an.
Dieser zeigte sich zunächst etwas verdutzt, wurde dann aber sehr redselig am Telefon: Ich war tatsächlich der erste, der ihn nach gut 40 Jahren „enttarnt“ hatte, denn es stimmte: die Villa ist sein Haus!
Er erzählte mir, dass er Unternehmer war und dank gut laufender Geschäfte Ende der 1960er Jahre das imposante Haus gebaut hatte.
Auf welchem Wege Wolfgang Petersen auf das Haus aufmerksam geworden ist, wisse er nicht mehr, er konnte sich jedoch daran erinnern, dass er einige Monate vor Drehbeginn den Anruf eines jungen und bis dahin noch unbekannten Filmemachers bekommen hatte. Er beriet sich mit seiner Ehefrau, die sofort »Feuer und Flamme« gewesen sei. Ihr war Petersen wohl schon ein Begriff und seine beiden ersten tatorte in guter Erinnerung. Außerdem gefiel ihr wohl der Gedanke, dass »die große, weite Welt des Films« bei ihnen zu Gast sein würde.
So traf man sich einige Wochen später mit Petersen, seinem Produktionsleiter und dem Kameramann vor Ort.
Man besprach die Szenen, die Kamerapositionen und den zeitlichen Ablauf. Man vereinbarte drei Drehtage im Herbst 1971.
Das Mobiliar, Bilder etc. wurden übrigens so übernommen, wie sich das Eigentümer-Paar eingerichtet hatte, es fanden also keine Umbauten oder der Austausch von Einrichtung statt.
Am ersten Drehtag kam dann zunächst das Produktions-Team und begann mit dem Aufbau von Kameras, Schienen, Licht, Tonanlage, Stromversorgung. An den weiteren zeitlichen Ablauf konnte sich der Hausbesitzer nicht mehr genau erinnern. Irgendwann waren dann die Schauspieler vor Ort, dabei ist ihm besonders Walter Buschhoff (»Kresch«) in Erinnerung geblieben, der sich – ganz entgegen seiner Rolle – als sehr aufmerksamer und höflicher Gast erwiesen hat.
Es ging hoch her und wirkte zeitweise wie im Taubenschlag, so viele Menschen gingen ein und aus und waren irgendwie mit den Aufnahmen beschäftigt.
Am Ende der Dreharbeiten musste der Glaser kommen
Im Großen und Ganzen verliefen die Dreharbeiten ohne unliebsame Überraschungen: das Wetter spielte mit, die Einrichtung blieb ganz, lediglich eine Fensterscheibe musste ersetzt werden – aber das war so geplant! In einer Szene liefern sich »Brodschella« und »Kresch« bzw. dessen Gefolgsmann »Karl« eine Schießerei. Brodschella schießt durch das geschlossene Fenster auf Kresch, verfehlt diesen aber. Kresch ergreift seine Pistole und erwidert das Feuer.
Den Dreh dieser Szene fand der Hausbesitzer besonders spannend, da er selbst passionierter Jäger war. Die Kamera wurde draußen vor dem Haus in einem Winkel von ca. 45° zum Fenster aufgebaut. Im Schlafzimmer waren Walter Buschhoff, die Statistin, die seine Geliebte spielte und ein Schütze mit einem Gewehr.
Buschhoff sollte sich zunächst seiner Geliebten zuwenden und dann ans Fenster treten und in die Ferne schauen. In diesem Augenblick sollte dann der Schuss fallen – für den Zuschauer soll es so aussehen, dass Brodschella von draußen auf Kresch schiesst, in der Produktion trat Buschhoff ans Fenster, der Schütze legte an, visierte über Buschhoffs Schulter und drückte ab! Peng! Scheibe kaputt.
Für diese Szene sollte es – wenn möglich nur einen Versuch geben, denn vor dem Haus wartete der Glaser mit einer vorher aufgemessenen Scheibe, die direkt im Anschluss getauscht werden sollte. Aus Kostengründen hatte man direkt darauf verzichtet mehrere Scheiben zu bestellen.
Das Telefonat mit dem Hausbesitzer aus der Nordheide dauerte schon weit über eine halbe Stunde. Mein Gesprächspartner war sichtlich erfreut mir über das Erlebte zu berichten.
Zum Abschluss fragte ich dann, ob ich ihn einmal besuchen dürfe, um ein paar Fotos seines Hauses zu machen.
Er sagte sofort „ja“ – aber: es sei derzeit in schlechter gesundheitlicher Verfassung und wolle sich zunächst völlig auskurieren. Wir verblieben so, dass ich ihm zunächst mit der Post ein paar Daten zu meinem „wo-ist-finke“- Projekt zusende und mich dann in einem Vierteljahr wieder bei ihm melde.
Wie das Leben dann manchmal so spielt
Leider kamen mir dann private Gründe dazwischen, die es mir unmöglich gemacht haben, mich weiter darum zu kümmern.
Etwa zwei Jahre später habe ich es erneut versucht telefonischen Kontakt herzustellen – leider vergebens. Im Jahr 2018 erfuhr ich dann, dass der Hausbesitzer zwischenzeitlich verstorben sei.
Dem Vernehmen nach lebt seine Witwe noch in dem Haus, in dem einst der tatort gedreht wurde.
Ich habe mich bewußt dazu entschlossen keine weiteren Angaben (Namen, Orte usw.) zum Objekt zu machen. Ich gehe davon aus, dass die nunmehr alleinige Besitzerin aus Altersgründen nicht mehr willens und und in der Lage wäre weiteren tatort-Fans Bericht zu erstatten.